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13. Januar 202313.01.23

Agrochemie muss neue Wege gehen

Maschinenringe Deutschland GmbH

Chemie auf Lebensmitteln – da zucken viele Verbraucher spontan zusammen. Landwirte und Landtechnikexperten gehen dagegen sehr pragmatisch mit dem Thema um. Woher kommt die teils fundamentale Ablehnung in der Öffentlichkeit gegenüber dem chemischen Pflanzenschutz nach Ihrer Meinung? Wir haben es mit tief verwurzelten Vorstellungen zu tun, die gerade hierzulande recht ausgeprägt sind: „Natürlich“ ist gut und gesund; „Chemisch-synthetisch“ ist schlecht und schädlich. Klar geht das an der Realität vorbei: Die Natur selbst produziert die potentesten Gifte, und chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel sind die am besten überprüften Substanzen überhaupt. Sicherlich spielt auch eine Rolle, dass immer weniger Menschen einen direkten Bezug zur Landwirtschaft haben. Die wichtige Frage ist: Wie kann man dem begegnen? Ich denke, dass Behörden, wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) mit seiner betont sachlichen Aufklärung da sehr gute Arbeit leisten. Wir selbst haben als Industrie mit unserer Initiative „Die Pflanzenschützer“ in den letzten Jahren Landwirtinnen und Landwirte unterstützt für den Dialog mit kritischen Zielgruppen. Aber, machen wir uns nichts vor: Es gibt einen gewissen grünen Zeitgeist, und da ist der Pflanzenschutz nicht gut gelitten. Sein enormer Nutzen erschließt sich vielen Menschen nicht. Und die Risiken werden permanent in den Medien, vor allem von Kampagnen- getriebenen NGOs thematisiert – oft populistisch und ohne wissenschaftlichen Hintergrund. Farm-to-Fork, Ackerbaustrategie und Insektenschutzpaket machen einen verminderten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln notwendig. Wie kann es da gleichzeitig gelingen, die Kulturen gesund und widerstandsfähig zu halten? Die von der Europäischen Kommission ausgerufenen Reduktionsziele für Pflanzenschutz- und Düngemittel sind in der Tat sportlich – um es einmal diplomatisch zu sagen. 50 Prozent weniger Pflanzenschutz, 50 Prozent reduzierte Nährstoffverluste in der Düngung und eine Reduktion des Düngemitteleinsatzes um 20 Prozent sind nicht leicht umzusetzen. Die verschiedenen Impact Assessments, die seit der Ankündigung der Kommission erstellt worden sind, gehen einheitlich davon aus, dass die Farm-to-Fork-Strategie zu einer niedrigeren Agrarproduktion in Europa bei gleichzeitig höheren Preisen für die Verbraucher führen wird. Wir sehen eigentlich nur einen Weg, die Reduktionsziele und die Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Produktivität in Einklang zu bringen: indem wir konsequent auf Digitalisierung und Smart Farming setzen. Und nur durch den Einsatz von Innovation und neuen Technologien wird es nachhaltig möglich sein, die höheren Ziele wie Verbesserung der biologischen Vielfalt und dem Klimawandel zu erreichen. Dafür setzen sich unsere Mitglieder auf jeden Fall ein. Nach Angaben der European Crop Protection Association waren im Jahr 2000 in Europa noch fast 1.000 verschiedene Wirkstoffe zugelassen. Heute sind es weniger als 300. Wieso zeigt der Trend bei den Neu- und Wiederzulassungen nach unten? Ein Wendepunkt war die Einführung der EU-Zulassungsverordnung 1107/2009. Seit sie greift, kann man als Daumenregel sagen, dass für im Schnitt vier bewährte Wirkstoffe, die vom Markt genommen wurden, nur eine neue Substanz genehmigt worden ist. Daran zeigt sich, wie streng die Zulassungskriterien in Europa und Deutschland sind. Das stellt Landwirte vor Herausforderungen, allerdings nicht in allen Bereichen im gleichen Umfang. Während in den großen Ackerbaukulturen die Versorgung mit wirksamen Pflanzenschutzmitteln in der Regel noch gewährleistet ist, stehen die Anbauer von Sonderkulturen oft vor dem Problem, dass sie entweder gar keine zugelassenen Mittel mehr haben oder dass sich diese in den Wirkmechanismen nicht unterscheiden, was ein wirksames Resistenzmanagement erschwert. Wie wird sich die Zahl zugelassener Wirkstoffe in den nächsten zehn Jahren weiterentwickeln? Das lässt sich nicht vorhersagen. Wenn es in dem bisherigen Takt weitergeht, werden wir weiter mehr bewährte Wirkstoffe verlieren als neue auf den MarktDie Genehmigungsverfahren sind mit vielen Unsicherheiten verbunden. Das gilt übrigens auch für alternative oder biologische Pflanzenschutzmittel, die auch unter die Regelungen der 1107/2009 fallen. Können biologische Mittel zu einer Alternative zum chemischen Pflanzenschutz werden? Wie schätzen Sie die Entwicklung ein? Wir sehen erhebliches Potenzial in der Entwicklung biologischer Pflanzenschutzmittel, die auf Wirkstoffen natürlichen Ursprungs basieren. Die Branche wird in den kommenden zehn Jahren rund 4 Milliarden Euro in diesem Bereich investieren. Viele biologische Mittel weisen hinsichtlich der Umweltverträglichkeit unbestreitbare Vorteile auf, indem sie zum Beispiel sehr gezielt – also: selektiv – nur gegen ganz bestimmte Schaderreger oder Krankheiten wirken. Andererseits begrenzt diese hohe Selektivität, verbunden mit einer in der Regel geringeren Wirksamkeit gegenüber chemischen Produkten die Einsatzmöglichkeiten und den Einsatz. Deshalb können diese Produkte, das muss man ganz nüchtern sagen, auf absehbare Zeit bewährte chemische Pflanzenschutzmittel zwar ergänzen, aber nicht komplett ersetzen. Kann die Züchtung dabei helfen, den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel zu reduzieren? Natürlich hält die Züchtung, und hier insbesondere moderne Züchtungsverfahren wie das Genome Editing Lösungen bereit, die helfen können, mit weniger Pflanzenschutzmitteln auszukommen. Wenn wir Pflanzen in ihren natürlichen Fähigkeiten stärken, sich gegen Schädlinge oder Pilze zu wehren, müssen wir dazu keine Pflanzenschutzmaßnahmen ergreifen. Auch der Anbau neuer Kulturarten mit angepassten Eigenschaften an unser Klima (z.B. Soja) kann die Anbaubreite und damit die Fruchtfolge besser gestalten. Welche mechanischen Verfahren haben das Zeug dazu, an die Stelle des chemischen Pflanzenschutzes zu treten? Wir sollten uns den Pflanzenschutz der Zukunft weniger als ein Entweder-oder vorstellen, sondern vielmehr als ein Sowohl-als-auch. Smart Farming-Lösungen haben die Landmaschinenhersteller und die Pflanzenschutz- Industrie näher zusammenrücken lassen. Denn wir brauchen bessere, smartere Ausbringungstechniken, um die verbleibenden chemischen Pflanzenschutzmittel noch zielgenauer und damit sparsamer auszubringen. Und natürlich können wir durch die Digitalisierung viel bewegen. Die führenden Pflanzenschutzunternehmen in Europa wollen bis Ende des Jahrzehnts 10 Milliarden Euro in digitale Werkzeuge im Pflanzenbau investieren. Ich denke, das gibt uns eine Idee davon, wo die Reise hingeht. Ist eine befriedigende Qualität und Quantität der landwirtschaftlichen Produktion auch zukünftig nur mit chemischem Pflanzenschutz möglich? Es gibt gewiss einzelne Kulturen, die unter bestimmten Anbaubedingungen ohne Pflanzenschutzmittel auskommen. So, wie Sie die Frage formuliert haben, ist die Antwort aber klar: Damit alle satt werden und alle sich gesunde Lebensmittel leisten können, wird es auf absehbare Zeit nicht ohne chemischen Pflanzenschutz gehen. Das sehen übrigens auch viele Kritiker so.

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