Karen Hendrix ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie – und hat zusätzlich mehrere Jahre lang auf einem Milchviehbetrieb mitgearbeitet. Dafür hat sie das Bildungsprogramm Landwirt (BiLa) absolviert. Diese Erfahrung nutzt sie heute, um Menschen aus dem landwirtschaftlichen Umfeld mit psychischen Problemen zu behandeln.
Karen Hendrix ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
Autorin: Katharina Geiger
Unter anderem leitet Hendrix die „Grüne Gruppe“, das ist eine wöchentliche Gesprächsrunde in der psychosomatischen Klinik Simbach am Inn, an der vor allem Landwirtinnen und Landwirte teilnehmen. Wir haben sie gefragt, welche Rolle der soziale Druck innerhalb und außerhalb der Familien bei der Entwicklung von psychischen Problemen spielt. Und auch, was dagegen helfen kann.
Wir haben sie gefragt, welche Rolle der soziale Druck innerhalb und außerhalb der Familien bei der Entwicklung von psychischen Problemen spielt. Und auch, was dagegen helfen kann.
Wie könnte man reagieren, bevor man alles in sich hineinfrisst?
Zum einen ist es viel individuelle Disposition, wie viel man an sich heranlässt. Es ist nicht jedem gegeben, die Meinung der anderen an sich abprallen zu lassen. Zum anderen weiß ich aus meiner Arbeit mit den Landwirten: Es ist so wichtig, sich nicht zurückzuziehen, sondern ins Gespräch zu gehen. Dafür muss man lernen zu kommunizieren. Wenn man das ein Stück weit einübt, tut man sich im Ernstfall viel leichter.
Üben Sie tatsächlich Gesprächsführung mit ihren Patienten?
Ja, und da sieht man am Anfang meistens, dass sich viele sehr schwer damit tun.
Wir machen das in der Grünen Gruppe spielerisch und verteilen die Rollen: Du bist der Kritiker, und du antwortest. Da kommen viele schnell an ihre Grenze. Dann besprechen wir gemeinsam: Welche Möglichkeiten gibt es denn? Da nimmt jeder ein paar Ideen mit. Ich würde es begrüßen, wenn Bauern mehr Kommunikation erlernen. Auch innerhalb der Familie!
Was fehlt da aus Ihrer Sicht?
Ich würde ihnen gern viele Sachen beibringen: Mehr aufeinander eingehen, mehr loben, weniger in sich hineinfressen, auch zwischen den Ehepaaren. Mehr reden und weniger arbeiten. Es ist tragisch, wenn es innerhalb der Familie so viel Sprachlosigkeit gibt. Noch schlimmer wird es, wenn dann in Aggression gehandelt wird.
Wirkt die soziale Kontrolle, also das Gefühl, den Anderen genügen zu müssen, auch innerhalb der Familien?
Natürlich, sehr stark sogar. Das geht meist ganz ohne Worte und wird über Generationen weitervererbt. Dieser Anspruch zum Beispiel: Arbeit ist das Wichtigste. Ich bin der Meinung, auch Landwirtinnen und Landwirte müssen lernen, ihre eigene Wünsche und Bedürfnisse zu definieren und selbstbewusst zu werden. Das mangelnde Selbstbewusstsein kommt oft von den Eltern. Es wird nie gelobt. Und die Arbeit geht nie aus. Wenn man einfach mal in der Sonne sitzt, kommt gleich: Hast du nichts zu tun? Geh den Hof kehren! Das macht etwas mit dem Selbstwert.
Wie kann man es besser machen? Nehmen wir ein junges Ehepaar, ein Kind ist unterwegs. Was kann der Vater besser machen?
Er könnte von Anfang an die Arbeit so organisieren, dass zumindest ein freier Nachmittag pro Woche nur für die Familie da ist. Und dann muss es auch Anerkennung geben, damit das Kind in einem normalen Klima aufwachsen kann. Die Freude an der Landwirtschaft und am aktiven Mitmachen kommt ja meist ganz von alleine. Es ist ganz wichtig, dem kleinen Knirps dann auch mal zu sagen: Hey, finde ich super, wie du das machst. Ich freue mich, dass du dabei bist, das macht mir gute Laune.
Oft gibt es Probleme, wenn die Jungen etwas Neues ausprobieren wollen.
Kinder, die nichts dürfen, werden Erwachsene, die nichts können. Aber ich weiß, dass es oft wirklich schwierig sein kann. Ich denke an einen Landwirt in meiner Gruppe, da wollte sich der Sohn nach seiner Ausbildung ausprobieren. Der Vater aber war sich sicher: Das geht schief. Wir haben dann besprochen, dass der Sohn ein Feld komplett in Eigenregie bestellen darf. Auf den Ertrag konnte der Vater notfalls verzichten. Es ist wichtig, dass die Jungen ihre eigenen Erfahrungen machen dürfen. Wenn etwas schief geht, lernen sie daraus. Da sollte dann aber kein „Das habe ich dir doch gleich gesagt“ hinterher kommen.
Die soziale Kontrolle innerhalb der Familie wird oft besonders stark, wenn jemand einheiratet.
Ich kenne Familien, da wartet die Mutter sehnsüchtig darauf, dass der Sohn endlich jemanden anbringt. Das macht Druck. Und ich kenne Höfe, auf denen wollen die Schwiegermütter überhaupt keine Konkurrenz haben und tun alles, damit der Sohn solo bleibt. Ich habe einen Bauern erlebt, dessen Mutter hatte seine Freundin vergrault. Mutter und Vater sind gestorben und jetzt lebt er mutterseelenallein mit seinen Kühen in der Einöde. Das hat mich wirklich sehr betroffen gemacht, als ich dort war.
Wie schafft es eine Mutter, die Freundin des Sohnes zu vergraulen?
Indem sie peinliche Situationen schafft, offene Feindschaft zeigt. Ich habe von einer Familie gehört, wo am Tag der Hochzeit die Schwiegermutter der Braut ins Ohr geflüstert hat: Dich kriegen wir hier schon noch weg, warte es nur ab. Der Druck, es allen recht machen zu müssen, ist gerade bei den Bäuerinnen enorm.
Was passiert mit einer jungen Frau, die diesen Druck aushalten muss?
Das kommt darauf an, wie der Mann zu ihr steht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Für die Frau ist es wichtig, dass sie weiß: Mein Mann unterstützt mich. Unsere Ehe ist wichtiger als das, was die Familie denkt und will. Ich habe junge Bauern kennengelernt, die sind weggezogen, weil es für die Frauen nicht mehr zumutbar war mit den Schwiegereltern. Sie leben jetzt ihr eigenes Leben und kommen nur zum Arbeiten auf den Hof. Das kann sehr gut gehen.
Auf den Söhnen lastet in so einem Fall auch viel Druck.
Sie stehen in der Mitte. Im schlimmsten Fall kriegen sie von links und rechts die Hiebe. Oft können sie keine Entscheidung fällen. Sie sagen in der Therapie: Ja, aber es ist doch meine Mutter. Und es ist doch meine Frau. Was soll ich denn tun?
Ja, was denn?
Die Mutter ist irgendwann Geschichte, die Frau bleibt ihm. Und die Kinder bleiben auch. Das sollte er sich überlegen.
Sind solche Gespräche auch Teil Ihrer Arbeit mit den Landwirten?
Ja. Familiäre Probleme gibt es in jeder Gruppe, das kennen fast alle meine Patienten. Insgesamt sind es ungefähr 20 große Themen, die immer wieder auftauchen: Die Finanzierung des Betriebs, der Absatz der Produkte, die Anforderungen durch Klimawandel und Gesellschaft, die Hofübergabe, zu viel Bürokratie zum Beispiel. Diese Themen schwimmen sozusagen in einer großen Schüssel und jeder darf hier fischen und sich das herausangeln, worüber er gern sprechen möchte.
Sind die Patienten bereit, in der Gruppe über so intime Dinge zu reden?
Ja. Meine Erfahrungen mit der „Grünen Gruppe“ sind sehr gut. Über die eigenen Sorgen zu sprechen und zu sehen: die anderen verstehen das, die kennen das aus ihrem eigenen Leben, das tut den Leuten richtig gut. Es entwickeln sich hier richtige Freundschaften unter den Teilnehmern.
Könnte man das nicht auch ohne den Rahmen der Klinik organisieren?
Ich kann mir das sehr gut vorstellen. Feste Treffen, zu denen jeder willkommen ist, jeder sich austauschen kann. Das fände ich ganz wunderbar.
Vielleicht sogar im Maschinenring?
Ich wäre sofort dafür zu haben, wenn eine Begleitung dieser Gesprächsrunden gefragt ist. Ich werde direkt auf unseren Ring hier im Ort zugehen. Das müsste sich machen lassen! Und es kann wirklich sehr viel bringen.