Wenn man mit dem Hanf einmal angefangen hat, dann kommt man nicht mehr davon los“, das hat Heinrich Hobelsberger selbst erlebt. Der 57-jährige Landwirt meint damit natürlich nicht, dass er von der Cannabis-Pfeife nicht mehr lassen kann – das Rauschmittel ist kein Thema für den gestandenen Familienvater. Gemeinsam mit seiner Tochter Katharina, Sohn Markus und Ehefrau Margit nutzt er die bis zu vier Meter hohen Pflanzen für wesentlich handfestere Zwecke: Die Familie presst die Samen und vermarktet das Hanföl und den Presskuchen, das Hanfstroh wird ballenweise an Tierhalter als Einstreu verkauft oder zum Humusaufbau eingearbeitet. 18 Hektar Acker und Grünland gehören zum Betrieb, auf drei bis zehn Hektar davon wächst inzwischen jedes Jahr Nutzhanf. Während sich das Hanföl jetzt schon gut verkauft, sieht Heinrich Hobelsberger bei der Vermarktung des Hanfstrohs noch viel Potenzial als Rohstoff für klimaschonendes Baumaterial und für Kunststoffe. „20 Prozent Nutzhanf in der Fruchtfolge auf allen Betrieben, dann wäre die Landwirtschaft der wichtigste Rohstofflieferant für die Industrie in Deutschland“, davon ist er überzeugt. Und das bei preiswerten und unkomplizierten Anbaubedingungen: Der Hanf gedeiht weitgehend von allein, zumindest wenn keine Staunässe oder Verdichtungen vorliegen und es während der Jugendentwicklung warm und feucht genug ist. Pflanzenschutz ist meist nicht nötig. Heinrich Hobelsberger pflügt vor der Aussaat und düngt mit Gärresten aus einer Biogasanlage. SELBSTVERSUCH HAUSDÄMMUNG Fast genauso unkompliziert wie der Anbau funktioniert die Herstellung des Baumaterials Hanfkalk. Im Eigenversuch testet die Familie Hobelsberger gerade am eigeMitnen Wohnhaus, wie die Hausdämmung mit dem selbst angerührten Baustoff funktioniert. Zwei Eimer Hanfschäben, ein halber Eimer Hydratkalk, fünf Liter Wasser zusammengerührt ergeben ihren Erfahrungen nach das perfekte Material, das in eine einfache Verschalung gestampft wird und zu einer Schicht mit sehr guten Dämmeigenschaften aushärtet. Das funktioniert bestens, nur ein Problem macht es noch mühsam: Es ist aufwendig, aus dem Hanfstroh die fürs Bauen nötigen Schäben zu gewinnen. Dazu muss der holzige innere Teil des Strohs gewonnen und zerkleinert werden. Auch hier haben Vater und Tochter viel experimentiert und waren letztlich mithilfe eines gemieteten Grünguthackers und einer Siebtrommel auch erfolgreich, aber mit dem Aufwand und den Kosten waren sie noch nicht zufrieden. „Das geht im großen Maßstab viel einfacher, aber die nächste Verarbeitungsstelle für das Hanfstroh ist 400 Kilometer weit weg“, sagt Hobelsberger. Und auch die schlechte Ernte nach dem kalten Mai und dem nassen Sommer 2021, die mit 350 Kilogramm Saat pro Hektar und kaum brauchbarem Stroh so schlecht war wie noch nie, trübt die Begeisterung ein wenig. Letztlich hat Heinrich Hobelsberger für das eigene Bauprojekt fünf Bigpacks Hanfschäben für 90 Cent pro Kilogramm dazugekauft. EIGENE ÖLPRESSE Während es beim Stroh noch schwierig ist, verkaufen sich andere Teile der Ernte umso besser. Dem Familienbetrieb kommt es zugute, dass die Nachfrage nach Produkten wie Hanföl, Hanfnüssen oder Hanfmehl stetig wächst, auch in der ländlichen Gegend um das niederbayerische Passau. 50 Liter „Schellköpfinger Hanföl“ produziert die hofeigene Presse jeden Monat – eine Menge, die sich über verschiedene Anbieter in der Region komplett vermarkten lässt. Knapp zehn Euro pro Flasche mit 0,25 Liter Inhalt erwirtschaften die Hobelbergers dabei. Diesen Betriebszweig leitet vor allem die 25-jährige Tochter Katharina. Sie ist Agraringenieurin und kümmert sich seit der Umstellung des Betriebs auf Ökolandbau vor allem um die Fruchtfolgen und die Vermarktung von Hanföl und Presskuchen. Dass die Felder inzwischen nach Öko-Standards bewirtschaftet werden, liegt im Übrigen auch am Hanf: Das Öl lässt sich als Bioware mehr als doppelt so teuer verkaufen. Also haben die Hobelsbergers 2018 umgestellt. Nicht nur Tochter Katharina, sondern auch Sohn Markus ist aktiv mit eingebunden. Beide Kinder haben feste Jobs außerhalb des Hofes, aber die Arbeit auf dem Hof ist ihnen genauso wichtig. Der Senior betreibt ein Versicherungsbüro und ist damit schon gut ausgelastet – aber er experimentiert für sein Leben gern weiter mit den Möglichkeiten, die der Hanf ihm bietet. Dass es mit dem Ausbau der Nutzungspfade nicht schneller geht, frustriert ihn. Er hofft auf Partner, um gerade die auf Hanf basierten Bau- und Kunststoffe schneller auf dem Markt zu platzieren. Damit könnte man eine sinnvolle Alternative zum Klimakiller Beton etablieren, der die Baubranche zum weltweit drittgrößten Verursacher des Treibhausgases CO2 und damit zu einem riesigen Treiber der drohenden Klimakatastrophe macht. KLIMABILANZ Aber stimmt es überhaupt, dass die Ökobilanz mit Hanfschäben als Baumaterial so viel besser wird? Die klare Antwort ist: Ja. Hanfkalk kommt sogar auf eine negative CO2-Bilanz, vor allem, weil die Hanfpflanze bei der Photosynthese sehr viel CO2 aus der Atmosphäre aufnimmt und daraus Pflanzenmasse bildet. Üblicher Baubeton bringt es auf rund 500 Kilogramm CO2-Ausstoß pro Kubikmeter, Hanfkalk bindet rund 300 Kilogramm pro Kubikmeter. Natürlich hat auch der Ökobeton seine Grenzen: Es lassen sich damit keine tragenden Wände bauen, der Hausbau funktioniert nur in Ständerbauweise. Aber allein durch einen Umstieg beim Dämmmaterial ließen sich enorme Mengen Treibhausgas einsparen. Wenn man Heinrich Hobelsberger fragt: Einfach mal loslegen, Hanf hilft! ei Joachim Klack kommen im Februar und März, wenn der Winterhanf geerntet wird, jede Menge WhatsApp-Nachrichten an. Videos vom Einsatz unterschiedlicher Mäh- und Schwadtechnik, Fragen zur besten Röstung des Hanfstrohs, Infos zur Erntemenge: In der Winterhanf-Gruppe läuft ein reger Austausch unter den Landwirten, die den Hanf als Zwischenfrucht im Spätsommer einsäen und im zeitigen Frühjahr ernten. Das Prozedere, um am Ende mit einer möglichst feinen Faserqualität auch gute Erlöse zu erzielen, ist knifflig: Das Stroh muss so lange den Prozess der sogenannten Feldröste durchlaufen, bis Bakterien und Pilze in den Stängeln die Fasern ein Stück weit aufgeschlossen haben, sodass die folgenden Schritte zur Gewinnung der langen, stabilen Fasern sowie der Hanfschäben leichter fällt. „Wenn man den Hanf zu früh schneidet, ist der Feuchtigkeitsgehalt noch zu hoch und es fehlt oft die Sonne, um ihn zu trocknen. Und wenn man zu lange wartet, werden die Fasern brüchig“, sagt Joachim Klack, „da kann natürlich einiges schief gehen, wenn im kurzen Zeitfenster keine guten Erntebedingungen sind.“ Wenn es mit der optimalen Verwertung nicht funktioniert, dann bleiben beim Winterhanf aber immer noch der hohe Vorfruchtwert, die Lockerung des Bodens durch die tiefe Durchwurzelung und der Humusaufbau als Pluspunkte. ABNEHMER FINDEN Trotz der Herausforderungen ist der 62-jährige Milchviehhalter Klack vom Hanf überzeugt und engagiert sich als Vorsitzender im Verein Nutzhanfnetzwerk. Seit 2005 baut er jedes Jahr eine Fläche zwischen einem und zehn Hektar Hanf nach Ganzpflanzensilage oder Wintergerste in die Fruchtfolge ein. „Als Zwischenfrucht ist er konkurrenzlos“, so seine Erfahrung. Die Vermarktung läuft bei Joachim Klack über ein Unternehmen, das die Hanffasern für Textilien aufbereitet. Das hat den großen Vorteil, dass er einen garantierten Abnehmer hat, der zwischen 120 und 300 Euro für die Tonne Hanffasern bezahlt – und die Anforderung, dass nur optimale Ware auch gute Preise erzielt, weil nur beste Fasern ein baumwoll-ähnliches Gewebe ergeben. Minderwertige Qualität nimmt der Verarbeiter nicht an oder nimmt Abschläge bei der Vergütung vor. „Die Vermarktung wird interessanter, je mehr Hanf angebaut wird“, ist Joachim Klack überzeugt, denn der größte Engpass seien derzeit die fehlenden Veredelungskapazitäten. Wenn mehr Aufbereitungsanlagen gebaut würden, ob für Textilien, Baustoffe oder Kunststoff-Alternativen aus Hanf, dann finde sich auch für alle Qualitäten ein Verwertungsweg. Bislang ist der Winterhanf für die meisten Anbauer ein Experiment, das über Verträge mit Abnehmern im Bauoder Textilbereich finanziell lukrativ werden kann.