Volvo hat bereits in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts angefangen, an seinem Bodyguard-Image mit hohen Sicherheitsstandards zu feilen. Eine Strategie, die bei PKW bis heute aufgeht. Anders in der Landtechnik: Hier wird Sicherheitsausrüstung von den Kunden oft eher als hinderlich angesehen. Das ist umso verwunderlicher, als die Meldungen über zum Teil schwere Unfälle nicht abreißen. Wir haben mit Firmenvertretern über den schwierigen Spagat zwischen Sicherheitsnormen und Kundenwünschen gesprochen.
Kennen Sie das auch: Sie sind mit dem Auto in der Stadt unterwegs und im Stop and Go piepst immer wieder der Auffahrwarner? Auch wenn es als Hilfe gedacht ist: Das Gepiepse kann nervig sein. Wie angenehm ist es aber, wenn der Wagen auf der Autobahn selbständig den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug hält! Stark vereinfacht gesagt, ist es hier den Autoherstellern gelungen, aus einem Sicherheitsfeature eine Komfortfunktion zu machen, die man nicht mehr missen möchten, wenn sie sich einmal daran gewöhnt haben. Kann sich die Landtechnik etwas davon abschauen? Genau das wollten wir in einem Gespräch mit Experten von Claas und Weidemann und dem Magazin-Sicherheitstipp-Experten Martin Gehring herausfinden.
Mit den Versuchen, das Arbeiten auf den Landmaschinen nicht nur sicherer, sondern auch einfacher zu machen, stoßen die Hersteller bei den Kunden nichtimmer auf Gegenliebe. Denn Sicherheitseinrichtungen unterbrechen auch mal die gewohnten Arbeitsabläufe – und daran gewöhnt man sich nicht so gern.
Neue Regeln – neue Anforderungen an die Unterweisungen
In den letzten Jahren hat der Gesetzgeber immer mehr Regeln erlassen, die den Bediener einer Maschine schützen sollen. Die Firmen haben ihre Produkte laufend an die verschärften Normen angepasst. Gerade bei markentreuen Stammkunden sorgt dies mitunter für Unverständnis, weil eingespielte Arbeitsabläufe mitunter geändert werden müssen. Zudem erfordert es ein Umgewöhnen, wenn die Sicherheitsvorschrift verlangt, dass die neue Maschine sich anders verhält als die alte. Guido Hilderink von Claas führt als Beispiel die Zapfwellen an. Die aktuellen Normen schreiben vor, dass Zapfwellen sofort gestoppt werden müssen, sobald der Fahrer seinen Sitz verlässt. Für die Kunden war diese Neuerung erst einmal sehr ungewohnt, beispielsweise wenn eine Sämaschine mit Gebläse angehängt ist. „Hier wird dann die Anwenderschulung umso wichtiger. Umgehen kann der Kunde die Abschaltung mit einem stationären Zapfwellenmodus. Denn welche Unfälle der Gesetzgeber im Blick hatte, ist völlig klar.“, erklärt Hilderink.
Eine Maschine – viele Normen
Bei den Hofladern war es 2016 der Schutz vor herabfallenden Gegenständen, der dazu führte, dass die Lader ein Dach bekamen. Und zwar nicht nur als Wetterschutz. „Viele Landwirte sagten uns 2010 bei der Einführung der Dächer, was soll denn das, dass wir hier in einen Käfig gesetzt werden, um die Maschine zu bedienen“, berichtet Christina Heine von Weidemann. Viele erinnern sich wahrscheinlich auch noch daran, dass das auch bei der Einführung der Überrollbügel vor einigen Jahren so war. Als sich durch die Zahl der immer weiter verbreiteten Bügel auch die Zahl der glimpflich ausgegangenen Unfälle steigerte, hörten diese Diskussionen auf. Auch die Radlader-Dächer haben sich inzwischen vollends etabliert. Sie sind ein gutes Beispiel dafür, wie Sicherheitsaspekte auch immer der Entwicklung der Betriebe, in diesem Fall der zunehmend genutzten Großballen, Rechnung tragen müssen. Vielen Anwendern ist nicht bewusst, dass ein und dieselbe Maschine einer Vielzahl von Normen unterliegt. Das hängt unter anderem auch davon ab, wo die Maschine gerade bewegt wird, auf der Straße oder auf dem Hof. „Wir sehen vor allem im Bereich der Low-Budget-Import-Schlepper immer wieder, dass diese mit einer Umsturzsicherungsvorrichtung – so der sperrige Begriff für einen Überrollbügel – ausgestattet sind. Auf der Straße ist dann auch alles okay. Problematisch wird es, wenn diese Schlepper in der 60-70 PS Klasse als Hofschlepper eingesetzt werden und ein Frontlader montiert wird“, erklärt Martin Gehring. Denn dann reicht der einfache Überrollschutz nicht mehr und es muss dringend eine Kabine oder ein Umsturzschutz mit Schutzdach gegen herabfallende Gegenstände her, beide mit vier Pfosten. Genau wie beim Hoflader.
Latente Gefahren
„Viele unterschätzen einfach die Gefahren. Die Gefahr ist zu latent, es überwiegt dann doch, dass die Anwender sich in ihrer Arbeit und ihrem täglichen Workflow behindert fühlen“, sagt Martin Gehring. Was in der Praxis dann dazu führt, dass Sitzschalter überbrückt werden oder Türen ausgebaut werden. „Hier müssen die Kunden besser informiert werden“, fordert Gehring, denn den wenigsten Anwendern ist bewusst, dass innerbetrieblich plötzlich andere Anforderungen und damit andere Normen gelten. „Die Leute gehen davon aus, dass sie die Maschine grundsätzlich so einsetzen dürfen, wie sie sie gekauft haben. Aber das ist eben nicht so“, stellt Gehring klar. „Wir machen diese ganzen Dinge ja nicht, um unsere Kunden zu nerven, sondern es gibt halt leider die zahllosen Unfälle“, fasst Guido Hilderink zusammen. Das erste Unfallversicherungsgesetz von 1884 war die Grundlage für die Berufsgenossenschaften, um fortan verbindliche Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen.
Mal eben schnell – ohne Gurt
Auf die Frage nach dem nervigsten Sicherheitsprodukt antworteten alle Experten unisono „Sicherheitsgurt“. Für den Maschinenring-Sicherheitsexperten fängt das Problem in der Landwirtschaft schon beim Gurt selbst an. „Der Sicherheitsgurt ist für alle seit 2018 neu zugelassenen Schlepper definitiv Pflicht (Tractor-Mother-Regulation). Aber viele, die ihn gerne verwenden würden, verzweifeln daran, weil oft in landwirtschaftlichen Fahrzeugen nicht die Qualität wie im Nutzfahrzeugbereich verbaut wird. Das heißt, der Gurt geht eine Saison lang und da der Austausch sehr teuer ist, wird er dann einfach nicht mehr benutzt“, so Martin Gehring. Der Gurt sei die Sicherheitsausstattung, die am ehesten nicht benutzt werde – zum Beispiel, weil man mit dem Hofladern ja „nur mal eben schnell“ einen Ballen bewegen möchte.
„Anschnallen gilt auf den Betrieben schon als enorm lästig“, meint auch Christina Heine. Dass Autos blinken und hektisch anfangen zu piepsen, wenn mal der Gurt noch nicht angelegt ist, sind wir alle längst gewöhnt. Bei Traktoren ist das aber noch nicht so. Und es wird wahrscheinlich auch so schnell nicht kommen. Warum, ist für Sicherheitsexperte Martin Gehring nicht nachvollziehbar. Denn die gesetzliche Grundlage ist eindeutig. Oft wird diskutiert, ob der Gurt denn nur bei Straßenfahrten angelegt gehört und bei Arbeiten auf dem Hof oder auf dem Acker nicht. Dem ist nicht so, denn die Unfallverhütungsvorschrift UVV sagt, „wenn ein Gurt da ist, muss er auch angelegt werden, sogar noch vor Beginn der Arbeiten“, weiß Martin Gehring. Der Fahrschulklassiker „erst gurten, dann starten“, gilt also auf dem Silo genauso wie auf dem Feld.
Irrationaler Umgang mit Risiken
Dieses Beispiel zeigt gut, wie irrational manchmal mit Sicherheitsthemen umgegangen wird. „Aktuelle Studien haben Unfälle in Deutschland und in Österreich ausgewertet. Und es zeigt sich ganz klar, dass die Zahl der Unfälle mit Schwerverletzten oder gar mit tödlichem Ausgang deutlich reduziert werden kann. Eben durch das Anlegen des Gurts“, berichtet Gehring. Dem entgegen stehen ausschließlich Komfortaspekte. „Ich kann mich vielleicht nicht ganz so im Sitz bewegen und umdrehen, wie ich es möchte, also schnalle ich mich nicht an.“ Die Diskussion dreht sich, wie bei Sicherheitsthemen so oft, um den schmalen Grat zwischen Vernunft und Vorschrift. „Wenn wir mit acht Stundenkilometern mit der Maisdrille auf dem Acker unterwegs sind, spielt der Gurt sicher keine so große Rolle wie bei einer Straßenfahrt mit 50 km/h“, gibt Guido Hilderink zu bedenken.
Das grundsätzliche Problem bei allen Sicherheitsvorschriften ist, dass sie einem etwas zynischen Henneund Ei-Problem folgen. Derjenige, der sich von den Systemen in seinem Alltag gegängelt fühlt, hatte das Problem noch nie. Wer das Problem schon hatte, kann sich meistens über die neuen Systeme nicht mehr freuen, denn in der Regel wird der Gesetzgeber vor allem nach tödlichen Unfällen aktiv und diktiert den Herstellern, wie ihre Maschinen künftig sicherer sein sollen.
Aus Sicherheit wird Komfort
Weidemann versucht, die nötigen Sicherheitserfordernisse in Komfortlösungen für den Kunden zu übersetzen. So wurde aus dem Sitzkontaktschalter, der einfach den Motor stoppte, eine komplett neue Steuerung, die die Bremse schließt, wenn der Fahrer den Sitz verlässt. Das praktische für den Anwender: Der Motor bleibt an, damit bleibt der Arm des Laders auch in der zuvor gewählten Position. Am Hang hält die Bremse mit dem System das Fahrzeug automatisch fest und erleichtert so das Anfahren und Manövrieren im schwierigen Gelände. Für den Fahrer werden hier Komfortfunktionen auf die Landtechnik übertragen, wie er sie vielleicht aus modernen PKW kennt. „Der Kunde nimmt diese Ausstattung so gar nicht mehr als Sicherheitselement, sondern als Komfortgewinn wahr“, so Thomas Pfalzgraf.
Unfälle sind unwirtschaftlich
Aber manchmal hat das Verständnis für die Sinnhaftigkeit von Sicherheitseinrichtungen Grenzen. Niemand konnte uns den Sinn von bei der Rückwärtsfahrt fiependen und piepsenden Maschinen erklären. „Unsere Teleskoplader müssen piepsen, die Hoflader nicht“, fasst Thomas Pfalzgraf zusammen, wie Normen auch manchmal die Experten rätseln lassen. Aber – egal ob alle Normen logisch erscheinen oder nicht – jeder vermiedene Unfall ist wichtig. Ganz nebenbei sind hier auch wirtschaftliche Überlegungen erlaubt. Denn jeder Unfall bedeutet – neben den körperlichen Folgen – auch Ausfallzeit.