Willkommen im Maschinenring
1992, kurz nach der Wende, ist Silke Lucht mit ihrem damaligen Mann auf den Guidohof nordwestlich von Chemnitz gezogen. Aus dem Abrisshof ist heute ein vielfältiger Betrieb geworden, der einzigartig in der Region ist.
Zufällig kommt hier vermutlich kaum jemand vorbei. Trotzdem wartet ein hier ein liebevoll hergerichteter Hofladen auf Kundschaft – und die kommt. Hinter den gelb gestrichenen Wänden des neu gebauten Fachwerkhauses gibt es eine breite Auswahl zumeist regionaler Produkte. In einer Auslage liegt frisches Brot, gebacken in der Hofbäckerei, saisonales Obst und Gemüse nimmt ein ganzes Regal ein. Silke Lucht, Gründerin und Betriebsleiterin des Guidohofs, erklärt, dass sie die Öffnungszeiten des Hofladens gerade wieder vergrößert haben. An fünf Tagen in der Woche können Menschen jetzt hier ökologisch erzeugte Lebensmittel kaufen. Das Hauptgeschäft läuft aber über ein anderes Standbein: „Wir beliefern pro Woche über 1000 Kunden mit unseren verschiedenen Ökokisten“ sagt Lucht und zeigt dabei auf ein halbes Dutzend gelber Lieferwagen.
Größer als der Traum
Vor bald 30 Jahren war nicht abzusehen, dass sich aus dem verfallenen Hof mit nur einem halben Hektar Land ein Betrieb mit über 30 angestellten entwickeln wird. Das gesteht auch Silke Lucht ein. Natürlich hatten sie und ihr Ex-Mann eine Vision, aber heute ist der Guidohof wohl doch größer als der damalige Traum geworden.
Auf rund 50 Hektar wirtschaftet Lucht nach den Demeter-Standards und ist allein damit eine Besonderheit. Von den etwa 1600 Demeter-Betrieben in Deutschland liegt nur eine Handvoll in Sachsen. Die Landwirtschaft hier ist wie in allen neuen Bundesländern anders strukturiert. Für Silke Lucht heißt das, dass der nächstgelegene Nachbarbetrieb über 2000 Hektar Land bewirtschaftet. Konkurrenz ist das nicht, „sogar eher das Gegenteil, wir arbeiten gut mit Berufskollegen zusammen“.
Demeter ohne eigene Tierhaltung
Das muss sie auch, denn 2018 ist sie aus der Tierhaltung ausgestiegen. „Die Gründe liegen im Privaten“, aber an der ökologischen Landwirtschaft nach Demeter-Richtlinien wollte sie festhalten. Die Tierhaltung ist für diese Betriebe im Grunde obligatorisch. Eine Kooperation über den Austausch von Futter und Mist ist aber auch möglich. Also produziert der Guidohof auf seinen Flächen das Futter für einen benachbarten Viehhalter und bezieht im Gegenzug deren Mist als Dünger.
Das so angebaute Obst und Gemüse erfreut sich großer Beliebtheit. Die Kunden des Guidohofs sind in ganz Südsachsen verteilt. Über 1000 Abnehmer werden wöchentlich beliefert. Dafür gibt es eine eigene Logistik: In einem Packraum werden die grünen Kisten zusammengestellt. Die Auswahl ist groß und nicht alles kommt vom Hof. „Aber alles wird von zertifizierten Betrieben oder Marken geliefert“, versichert Lucht. Die Kisten gehen dann in die alten Lieferwagen der Deutschen Post und werden von den Fahrern des Guidohofs zu den Abnehmern transportiert. „Die Pandemie“ erklärt die Betriebsleiterin weiter, „hat uns noch einen weiteren Schub gegeben“.
Schwierige Zeiten
Der Hof und vor allem Silke Lucht haben jedoch auch schwierige Zeiten hinter sich. 2018 entschied sich ihr Ex-Mann, andere Wege zu gehen. Kurz danach ging es ihr auch körperlich nicht gut. Zu dieser Zeit führte sie den Betrieb allein, ihre Söhne studierten und wollten auf dem Betrieb damals noch keine Verantwortung übernehmen.
„Ich habe Hilfe gebraucht, weil ich selbst nicht mehr arbeiten konnte“ erklärt sie rückblickend. Die Hilfe bekam sie beim Maschinenring Westerzgebirge, bei dem sie Mitglied wurde. Für zwölf Wochen kam ein Betriebshelfer, übernahm die wichtigsten Arbeiten auf dem Hof. Silke Lucht muss lachen, als sie sagt, dass es der erste Öko-Betrieb für den Betriebshelfer war. „Für ihn war vieles neu und anders, aber am Ende war er um jede Stunde froh, die er bei uns arbeiten konnte.“
Der Guidohof wird wieder Familienbetrieb
Mittlerweile kann Silke Lucht wieder voll mit anpacken und hat Unterstützung bekommen. Ihr Sohn Paule, der in Eberswalde ökologischen Landbau studiert hatte, hat sich für den Betrieb entschieden und packt im landwirtschaftlichen Bereich mit an. Dazu kommen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Büro und dem Hofladen, aus der Packstation, der Bäckerei und die Fahrer. Sie alle haben nicht nur einen sicheren Arbeitsplatz gefunden. Der Guidohof steht klar für Werte wie Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein. Eine Fotovoltaik-Anlage liefert Strom, die komplette Wasserbereitung läuft über eine Solaranlage und die Touren der Fahrer werden ständig optimiert. Der Boden wird schonend bewirtschaftet, Humusaufbau und „weitgliedrige Fruchtfolgen“ sind für die Luchts selbstverständlich.
Aber auch menschliche Werte machen den Hof zu einem besonderen. Silke Lucht nennt das „Begeisterungstransfer“ und der ist vor Ort spürbar. Alle Mitarbeiter sind nicht nur mit Herz bei der Sache, sie scheinen auch die gleichen Ideale zu vereinen. Was vor knapp 30 Jahren mit einem abrissreifen Hof in der sächsischen Provinz begonnen hat, ist heute ein erfolgreiches landwirtschaftliches Unternehmen mit Strahlkraft weit in die Region hinein. Willkommen im Maschinenring.